Vier Musikaufstellungen von Schmidt-Boelcke
ZurückWerner Schmidt-Boelcke, 1. Kapellmeister des Emelka-Konzerns im Capitol-Kino Berlin, hat für viele Filme Musikaufstellungen erstellt. Er war für kurze Zeit im Boccaccio Kino in Köln angestellt.1
Quelle:www.zeitpunkt.nrw
Die variierenden Vorführungstempi in den hier vorgestellten Musikaufstellungen waren damals üblich, da es noch keine Normung auf 24B/s gab.
Die Projektoren wurden mit Gleichstrommotoren angetrieben, die vorgegebene Bildgeschwindigkeit wurde mittels eines veränderlichen Widerstandes eingestellt und konnte über einen analogen Drehzahlmesser, meist am Projektorkopf montiert, abgelesen/überprüft werden.
1Ein Kinoorchester-Dirigent erinnert sich. Gero Gandert im Gespräch mit Werner Schmidt-Boelcke, in Stummfilmmusik gestern und heute, Stiftung Deutsche Kinemathek S.43
Das Gehäuse des Widerstands wurde zur Kühlung mit Luftschlitzen versehen, durch die man die graue Farbe des auf einen Keramikkörper gewickelten Widerstandsdrahtes erkennen kann. Mittels des Schleifers hat man die Möglichkeit, eine Skala von 0 (langsam) bis 10 (schnell) abzufahren.
Bei neueren Projektoren mit Wechselstrommotor wird eine Geschwindigkeitsänderung für eine historisch genaue Vorführung von Stummfilmen üblicherweise über einen zusätzlich eingebauten Frequenzumrichter erreicht. Dabei können Festgeschwindigkeiten programmiert werden, sowie auch eine variable Einstellung mittels Potentiometer.
Musikaufstellung von Schmidt-Boelcke zu der Emelka-Produktion „Marquis d'Eon“.
Diese Musikaufstellung ist relativ gut erhalten. Es handelt sich um Schreibmaschinenschrift auf Durchschlagpapier
Bei den Musikaufstellungen handelt es sich um eine tabellarische Aufteilung der Filme in ihre Einzelszenen.
Jede Einzelszene wird dann unter Nennung des Komponisten und Verlags mit einem Musikstück unterlegt
und mit einer präzisen Spielanweisung bezüglich der Anzahl der zu spielenden Takte, Wiederholungen, etc. versehen.
Auffällig ist hier, daß (Fritz) Kortner mit seinem Nachnamen bezeichnet wird, während Liane (Haid) unter ihrem Vornamen firmiert.
Die Musikauswahl setzt sich aus klassischen und populären Musikstücken sowie eigens von zeitgenössischen Komponisten des 20sten Jahrhunderts für die Untermalung von Filmszenen komponierte Musik (sogenannte Inzidenzmusik = den Vorkommnissen der Filmszene angepasste oder sie begleitende Musik) zusammen.
Musikaufstellung von Schmidt-Boelcke für den Film „Sturm über Asien“ (Потомок Чингис-Хана UdSSR 1928) unter der Regie von V. Pudovkin.
Handgeschriebene Anweisungen auf Manila Schreibmaschinenpapier mit stilisiertem Flügelrad der Patentpapierfabrik zu Penig in Sachsen.
Die Cinema Incidental Series wurde von 1917 - 1927 herausgegeben. In diesen Reihen wurden Stücke für alle in Filmszenen typische Anlässe (Kampf-, Liebesszenen, Angst, Aufruhr) zusammengefasst. Zudem gab es viele Stücke für die damals schon beliebten amerikanischen Western, Asiatika/Exotika, Slapstick Comedies, etc.
Schmidt-Boelcke erwähnte gegenüber Gero Gandert2, daß der Vorführer manchmal angewiesen wurde, die Geschwindigkeit zu drosseln, um ein Motiv ausspielen zu können. Selbstverständlich konnte zusätzlich zum Projektor auch der Standort des Orchesterleiters mit einem über Drahtleitungen angeschlossenen sogenannten „Ferntachometer“ (Markenname: Fern-Kitempo) ausgestattet sein, so daß auch dieser laufend die Laufgeschwindigkeit des Films überprüfen konnte3.
2 Ein Kinoorchester-Dirigent erinnert sich. Gero Gandert im Gespräch mit Werner Schmidt-Boelcke, in„Stummfilmmusik gestern und heute“,
Stiftung Deutsche Kinemathek S.46
3 H. Joachim, Die kinematographische Projektion Band III, 1. Teil S.325
Der gebürtige Italiener Giuseppe Becce (1877-1973), hier am Anfang des 5. Aktes mit seinem „Misterioso agitato“ vertreten,
war einer der bekanntesten Filmmusikkomponisten in Deutschland. Er hat auch als Kino-Kapellmeister für die UFA und die Terra gearbeitet,
die Zeitschrift „Film-Ton-Kunst“ herausgegeben und das „Allgemeine Handbuch der Filmmusik“ mitherausgegeben.
Transkript der Spielanweisungen auf der Rückseite des letzten Blattes der Musikaufstellung:
„Bei den No. 16, 18, 20, 23 ist folgendes zu beachten: die jedesmal vorgeschriebene Piece (Suite 1001 Nacht) dient lediglich als Unterlage zu den jeweiligen Tempelmusik Effekten. Die langen Hörner der Lamapriester sind durch Posaunen mit Megaphon zu imitieren, lang ausgehaltene, tiefe Vibrato Töne mit vorhergehendem Glissando von unten. Die kleinen Knochenflöten sind am besten durch Sopran-Saxophone (ebenfalls glissando & dann ausgehaltene, wimmernde Töne) zu charakterisieren. Um die Schlagwerk Effekte naturgetreu darzustellen sind unbedingt mehrere Schlagwerker erforderlich. Man gebe einem nur zur Aufgabe die Handbecken genau nach dem Bilde zu schlagen. Auf die anderen Schlagwerker verteile man: Gong, Glockenspiel, Nigertrommel(?), große Trommel & Becken. Die Ausführung dieser Imitationsmusik muß äußerst dezent geschehen weil sie sonst bei der Länge & häufigen Wiederkehr der Scene leicht aufdringlich werden kann.“
Zwei weitere Musik-Aufstellungen.
Beide offiziell gedruckt, auf stark gebräuntem Papier, an den Ecken ausgefranst. Die Filme sind jeweils 1h, 10min lang.
Ausschnitt aus Schmidt-Boelcke's Musikaufstellung zu „Gefangene des Meeres“ (Пленники Моря, UdSSR 1929) von M. Verner
Musikaufstellung zu „Hoppla, Vater siehts ja nicht“ (Home,James, USA 1928) von W. Beaudine. Druck: Gebr. Wolffsohn G.m.b.H („Lichtbildbühne“) Die internationale Film-Datenbank IMDb listet einen deutschen Film gleichen Titels von 1919.
Bei dem Komponisten des Foxtrotts „(The) Calinda“ besteht keine Verwandtschaft zu dem Erbauer des Phonola-Klaviers. Es handelt sich vielmehr um Herman Hupfeld (1894-1951), dessen heute bekannteste Komposition „As Time Goes By“ aus „Casablanca“ ist.
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